Es ist leider doch der äußerste Notfall eingetreten, der mich dazu zwingt, wieder Busse zu nehmen, denn ich bin seit gestern sehr schwer erkältet. Schon 2 Tage zuvor hatte sich die Krankheit angekündigt, indem ich sehr wenig Energie beim Laufen und starke Kopf- und Bauchschmerzen hatte. Aber ich bin trotzdem normal viel gelaufen und habe mich dabei sehr gequält. Vorletzte Nacht hatte ich dann Fieber und Schüttelfrost und damit das Handtuch geworfen. Ich habe eingesehen, dass mein Körper dringend Ruhe braucht. Daher habe ich gestern eine Etappe mit dem Bus übersprungen und den ganzen Tag in der Herberge geschlafen. Das Fieber ist abgeklungen, es geht mir aber immer noch sehr schlecht und daher nehme ich später wieder den Bus zur nächsten Etappe. Ich muss bis zum Abend warten, weil die Busverbindungen Sonntags sehr schlecht sind und so bleibt mir nichts anderes übrig, als bis dahin in Cafés herumzulungern. Das ist eine Cat-astrophe für mich und dämpft meine Laune doch sehr. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor Santiago ("nur" noch 100 km), verlassen mich alle meine Kräfte. Aber es hilft alles nix - ich muss jetzt wieder das beste aus der Situation machen und mich einfach gut um mich kümmern.
Vor meiner Krankheit hatte ich ein paar sehr schöne Tage. Ich habe eine Art Stammgruppe gefunden, die ich jeden Abend wiedersehe und mit der ich mittlerweile sehr gut befreundet bin. Sie besteht zu 90 % aus Südkoreanern und ich habe die Erfahrung gemacht, dass das eine außergewöhnlich freundliche und offene Kultur ist. Ich liebe sie! Dann sind da noch ein Amerikaner und eine Italienerin. Wenn wir zusammen sind, wird unglaublich viel herumgealbert und gelacht. In die Gruppe bin ich durch Anthony hereingekommen, er ist Südkoreaner und in meinem Alter. Vor seinem Camino war er 4 Jahre lang Soldat gewesen und hat die Grenze zwischen Nord - und Südkorea bewacht. Jetzt orientiert er sich neu im Leben und reist erst einmal. Ich hatte ihn schon vor etwa 2 Wochen kennengelernt und er hatte mich dann letztens zum Essen mit dieser Gruppe eingeladen. Mit Anthony habe ich seitdem eine besondere Beziehung entwickelt. Wir sind mal einen halben und mal einen ganzen Tag zusammen gelaufen. Mit ihm ist das Laufen sehr angenehm, denn er nimmt viel Rücksicht auf mein Tempo und mein Bedürfnis nach Pausen. Wir haben auf dem Weg sehr viel über alles mögliche geredet (sofern es ging, denn manchmal haben wir eine Sprachbarriere) und es waren herrliche Tage. An dem ganzen Lauftag, den wir zusammen hatten, haben wir sogar 30 km geschafft! Ich hätte am Anfang meiner Reise nie gedacht, dass ich das mal schaffen würde. Aber Anthony hat mir auch sehr geholfen, indem er meinen Rucksack auf den letzten 10 km, in denen es immer steil bergauf ging, für mich getragen hat. Ohne ihn hätte ich die Strecke definitiv nicht geschafft. Er ist ein solider Typ (wir benutzen den Ausdruck gerne) und sowas wie mein "best camino buddy".
Ich hatte auch eine großartige Geburtstagsfeier. Das war zwar schon nach einem der Lauftage, an dem es mir schlecht ging, aber abends sah ich alle aus meiner Stammgruppe in der Herberge wieder und wir haben gemeinsam gegessen (unser "Chefkoch" hat extra für mich ein Spezialmenü gekocht) und hinterher noch viel zusammen gesessen. Es wurde nicht wenig Alkohol dabei vernichtet, wobei ich selbst möglichst wenig getrunken habe, weil mein Körper sehr empfindlich darauf reagiert. Wir haben viel gelacht, gesungen und zum Schluss auch getanzt. Es war ein unvergesslicher Abend und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich ihn mit diesen Leuten verbringen konnte! Am nächsten Tag ging alles, wie gesagt, gesundheitlich hart bergab bei mir und jetzt habe ich einen Tiefpunkt. Aber ich gebe mir Mühe, positiv zu denken und schnell wieder auf die Beine zu kommen. Was für ein Abenteuer diese Reise ist. Wenn ich sie bewältigt habe, bin ich bestimmt unzerstörbar! :D
Fotos:
1: Anthony und ich
2-9: Orte auf dem Weg
10: Meine Geburtstagsfeier